Zunächst klingt es nach einer einfachen Frage: „Wie kann der Bedarf für Mitarbeitertrainings ermittelt werden?“ Die klassische Antwort ist auch schnell gefunden: Stellenbeschreibung analysieren, Soll-Anforderungen der Stelle mit Ist-Werten des Stelleninhabers abgleichen, Abweichungen bewerten, Trainingsmaßnahmen ableiten. So weit, so gut. In der praktischen Umsetzung kommt dann jedoch sofort die erste Frage auf: „Welche Stellenbeschreibung?“ Gerade in kleineren und mittleren Unternehmen gibt es selten überhaupt Stellenbeschreibungen oder zumindest keine, welche die einzelnen Anforderungen so detailliert beschreiben. Meist ergibt es dort wenig Sinn, da sich die Anforderungen sehr schnell ändern können und der Aufwand für eine kontinuierliche Pflege viel zu hoch wäre. Die zweite Frage stellt sich dann, wenn es um die Ist-Kompetenzen des Mitarbeiters geht: „Wie finde ich sie wirklich heraus?“ Woran kann also eine Bedarfsermittlung ansetzen?
Trotz der genannten Schwierigkeit ist es sicherlich sinnvoll, diese Fragen zu beantworten – doch immer mit einem systemischen Blick. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Weiterbildungsbedarf im Gesamtkontext zu sehen ist. An erster Stelle steht dabei die strategische Position und Zielsetzung des Unternehmens.
Eine vorausschauende Weiterbildung muss den zeitlichen Vorlauf für den Erwerb neuer Kompetenzen berücksichtigen. Gerade in Branchen mit kurzen Innovationszyklen (z. B. IT) erfolgen Weiterbildungsmaßnahmen vorausschauend und auch etwas „spekulativ“. Damit verbunden ist eine gewisse Risikobereitschaft, dass sich erworbene Kompetenzen möglicherweise als unnötig herausstellen.
Der strategische Blick auf die Ziele des Betriebs ist von größter Wichtigkeit, da es sich Unternehmen heute nicht mehr leisten können, ihre Wettbewerbsposition einzig und allein zu behaupten. Änderungen können schnell und sogar disruptiv erfolgen.
Gerade in der Energiebranche werden beispielsweise die Folgen deutlich, wenn bestehende Geschäftsmodelle zunächst lukrativ sind und blindlings beibehalten werden. Die Liste der Unternehmen ist lang, die sich auf ihrem Erfolg ausruhten, Innovationen verschliefen und den Wandel zu spät angingen (Kodak, Nokia, Schlecker).
Somit sollte die Bedarfsermittlung niemals einfach vom Status Quo ausgehen, sondern natürlich auch zu erwartende Bedarfe der Zukunft abdecken und bestehende Herausforderungen einbeziehen. Für eine umfassende Bedarfsanalyse sind mindestens zwei Dimensionen wichtig: die Perspektive (Unternehmen und Mitarbeiter) und die Zeitdimension (aktuell und zukünftig).
Mögliche Fragen zur Bedarfsermittlung lassen sich somit in vier Kategorien einordnen:
Für eine möglichst umfassende Bedarfsermittlung sollten weitere Perspektiven und Meinungen eingeholt werden. In diesem Zusammenhang bieten sich folgende Gruppen von Stakeholdern mit ihren Interessen und Perspektiven an, aus denen sich ebenfalls Weiterbildungsbedarf ergeben kann. Hier einige Beispiele:
Beispiel | Anspruchsgruppe(n) | Bedarf/Maßnahme |
Datenschutz im IT-Bereich | Kunden und Geschäftspartner | Bestellung und Ausbildung eines Datenschutzbeauftragten, laufender Nachweis der Qualifikation |
Hygienebestimmungen in der Gastronomie | Mitarbeiter und Kunden | Schulung im Umgang mit verderblichen Lebensmitteln zur Verhinderung von Krankheiten |
Brandschutzverordnungen | alle Anwesenden | Schulung im Umgang mit Notfallplänen, Durchführung von Übungen |
Umweltschutzauflagen | Gesellschaft, Mitarbeiter, Kunden | Ausbildung der Mitarbeiter im Umgang mit Gefahrgütern oder allgemeinen Umweltauflagen |
Bekämpfung von Geldwäsche | Gesellschaft, Kunden, Partner, Lieferanten | Einhaltung gesetzlicher Überwachungs- und Meldepflichten |
Korruptionsprävention | Lieferanten, Geschäftspartner und Mitarbeiter | Einhaltung interner und gesetzlicher Auflagen zur Verhinderung von Korruption |
Ersthelferausbildung | Mitarbeiter | Ausbildung einer definierten Anzahl von Ersthelfern für Unfälle |
Weitere Hinweise auf Weiterbildungsbedarf können aus der Sach- oder Beziehungsebene durch diese Fragestellungen ermittelt werden (siehe auch BMBF 2013):
Sachebene | Beziehungsebene |
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Zudem sollten möglichst verschiedene Innen- und Außenperspektiven betrachtet werden. Hierzu könnten folgende Personengruppen befragt werden – für jede Gruppe werden jeweils einige Ansätze genannt (siehe auch BMBF 2013):
In der praktischen Umsetzung der Bedarfsermittlung bietet sich das nachfolgend abgebildete Rahmenkonzept an. Dabei wird die Bedarfsermittlung von Weiterbildungsmaßnahmen im Vorfeld in fünf Phasen aufgeteilt: Feststellen von Anforderungen, Ausarbeitung von Soll-Profilen, Ermittlung von Ist-Profilen, Sicherung der Motivation und Ableitung des konkreten Handlungsbedarfs.
Diese schematische Darstellung ist als Orientierung gedacht, natürlich können Stufen übersprungen werden, die Reihenfolge kann sich ebenso ändern.
Hinzuweisen ist auf die Bedeutung der Begriffe „Sollen“, „Können“, „Wollen“ und „Handeln“. Dem ist das „Dürfen“ hinzuzufügen. Hierzu ist anzumerken:
Die Bedarfsermittlung von Weiterbildungsmaßnahmen und Mitarbeitertrainings ist von entscheidender Bedeutung, wenn es um die passgenaue Gestaltung von Personalentwicklung geht. Hierbei sind verschiedene Perspektiven (Mitarbeiter vs. Unternehmen, Gegenwart vs. Zukunft) einzunehmen, um eine ganzheitliche Bedarfsermittlung zu gewährleisten.
Zudem sollten möglichst viele Beteiligte hinzugezogen werden, um mehr Perspektiven zu erhalten. Weitere Hinweise können sich aus der Betrachtung momentaner Problemfelder und der Interpretation typischer Anzeichen (Mitarbeiterbefragung) ergeben.
Der eigentliche Prozess kann einem idealtypischen Ablauf folgen. Er muss jedoch in das Bezugssystem der strategischen Personalentwicklung eingebunden werden, um Weiterbildungsbedarf nicht aus einer engen, problemzentrierten und unternehmensspezifischen Sicht zu betrachten.